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Neuigkeiten zu Weihnachten 2023

Dona Leonora

Gleich drei Schicksalsschläge brachen über Dona Leonora herein, bis sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als zusammen mit ihren drei Enkelkindern auf der Straße zu leben. Ihr Ehemann, mit dem sie, wie sie sagt, glücklich in einem einfachen Haus lebte, verstarb plötzlich, und sie selbst verlor ihre Arbeitsstelle in einer Textilfabrik, als diese Konkurs anmeldete. 

Zu allem Übel fing zu jener Zeit ihre Tochter an, Drogen zu nehmen, und konnte nicht mehr die Verantwortung für ihren Sohn übernehmen, der heute 11 Jahre alt ist. Danach kamen noch zwei weitere Enkelkinder zur Welt, um die sich Dona Leonora allein kümmern musste. Sie begann nach wiederverwertbaren Materialien zu suchen, um diese an Zwischenhändler zu verkaufen, und musste gleichzeitig auf Maria aufpassen. Sie erzählte unter Tränen, dass sie sich eines Tages ganz verzweifelt, zusammen mit ihren drei Enkelkindern auf der Straße wiederfand, als sie das Geld für die Miete nicht mehr aufbringen konnte.

Dona Leonora (56) mit ihrem Enkelkind Maria (3 Jahre)

Während des Besuchs eines Ehepaares, das in Deutschland lebt und die Arbeit des Kleinen Nazareno auf der Straße kennenlernen wollte, sind wir auf Dona Leonora und ihre Familie aufmerksam geworden. Gemeinsam mit dem Sozialarbeiter vom Kleinen Nazareno wurde beschlossen, dieser Familie im Rahmen einer Sofortmaßnahme, die finanziell vom Ehepaar gestemmt wurde, zu helfen. Innerhalb von wenigen Tagen wurde die Wohnung, in der Dona Leonora heute mit ihrer Familie lebt, angemietet. Sie wurde bereits in offizielle Sozialhilfe-Programme der brasilianischen Regierung eingeschrieben, und wir hoffen, dass ihr aufgrund ihrer Notsituation bald eine Sozialwohnung zugesprochen wird. Neben einer kleinen Hilfe vom Kleinen Nazareno muss sie für ihren Unterhalt und den ihrer Enkelkinder selbst aufkommen.

 

Hilfe auf allen Ebenen

In den ersten Jahrzehnten seit der Gründung des Kleinen Nazareno haben wir uns fast ausschließlich auf diejenigen Kinder und Jugendlichen konzentriert, die am Straßenrand lebten, auf den Fußwegen oder vor den Türen von Geschäften schliefen, von wo sie tagsüber verscheucht wurden. Anders als in anderen Großstädten wie Rio de Janeiro oder São Paulo gab es in der Innenstadt von Fortaleza keine einzige Familie, die auf der Straße lebte, mit einer Ausnahme: Vor der staatlichen Universität, wo ich 5 Jahre lang Rechtswissenschaft studierte, gab es eine Familie, die sich unter einem abenteuerlichen Geflecht aus Pappe, Holz und Plastiktüten abends immer zurückzog. Sonst weit und breit waren Kinder und Jugendliche, die allein auf der Straße lebten. Nicht nur, dass wir seit Beginn des Nazareno-Dorfes einige hundert Kinder aufgenommen haben, sondern wir haben auch viele Kommissionen vor Ort geleitet und 2005 die Nationale Kampagne im brasilianischen Senat gegründet. Diese hat verschiedene Gesetzesvorschläge zusammen mit staatlichen Organen und Nichtregierungsorganisationen erarbeitet, die heute als normative Richtlinien Anwendung finden. Nicht zu vergessen sind die unzähligen Protestaktionen in Fortaleza. Es gab Zeiten, in denen unsere Aktionen mehrmals im Jahr auf der Titelseite hiesiger Tageszeitungen abgebildet waren. Unser Hauptanliegen war immer, jedem Straßenkind das Grundrecht zuzusprechen, nicht auf der Straße leben zu müssen. In Fortaleza gibt es mittlerweile 6 staatliche Einrichtungen, die sich auf die Aufnahme von Straßenkindern spezialisiert haben. Als wir unsere Arbeiten aufnahmen, gab es keine einzige! Wenn auf der einen Seite die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die allein auf der Straße leben, sich deutlich verringert hat, gibt es auf der anderen Seite seit längerer Zeit einen deutlichen Anstieg von Familien, die auf der Straße leben. Unter den Markisen von Kaufhallen und Einzelhandelsgeschäften treffen sich abends unzählige Menschen, um eine weitere Nacht auf der Straße zu verbringen, darunter Kinder und Jugendliche, die gemeinsam mit ihren Müttern auf der Straße leben. Es ist offensichtlich, dass wir uns in naher Zukunft verstärkt der Herausforderung stellen werden, möglichst vielen Familien die Mittel und Wege zu eröffnen, nicht mehr auf der Straße leben zu müssen. Obwohl es uns gelungen ist, neben der Familie von Dona Leonora auch eine zweite Familie mit 3 Kindern von der Straße zu holen, werden solche vereinzelten Hilfsmaßnahmen in Zukunft sicherlich keine Ausnahmen mehr darstellen. Glücklicherweise werden wir im nächsten Jahr auf ein Artefakt zurückgreifen können, das ausgeklügelt wurde, um die erste Kontaktaufnahme auf der Straße kreativ zu gestalten. Arnoud Raskin, der Gründer der „Mobile School“ (belgischer Verein mit Sitz in Löwen), hat eine ausklappbare Tafel auf Rädern entwickelt, die mit Lehrmaterialien und Brettspielen gefüllt ist. 

(Indien ist eines der Länder, in denen die Mobile School zum Einsatz kommt) 

Nachdem er jahrelang zwischen Lateinamerika und Belgien pendelte und besonders in Kolumbien hautnah die Situation der Straßenkinder kennenlernte, wollte er als Designer ein Produkt konzipieren, das die erste Kontaktaufnahme der „Streetworker“ erleichtern sollte und gleichzeitig den Kindern und Jugendlichen auf der Straße Zugang zu pädagogischen Spielen und Lernübungen ermöglichte. Unter einigen Mitbewerbern aus Südamerika wurde der Kleine Nazareno/Brasilien ausgewählt. Wir bekommen jetzt eine nagelneue „Mobile Schule“ zur Verfügung gestellt. Die Übersetzungsarbeiten laufen seitens der Organisation mit Sitz in der belgischen Stadt Löwen auf Hochtouren, denn obwohl die Mobile School mittlerweile in mehr als 30 Ländern zum Einsatz kommt, müssen die über 300 Spiele erst einmal ins brasilianische Portugiesisch übersetzt werden. 

(Wenn alle Tafeln, an denen die Lernmaterialien verankert werden, ausgestreckt sind, beträgt die Spannweite der Vorder- und der Rückseite jeweils 6 Meter.) 

In erster Linie wird die Mobile Schule auf den Straßen und Plätzen der Innenstadt von Fortaleza zur Anwendung kommen. Aber bildlich sehe ich jetzt schon vor Augen, wie die Kinder in den Armensiedlungen sich freuen werden, wenn wir die Tafeln auf Rädern vor ihnen ausbreiten! Weitere Informationen gibt es auch auf der Internetseite: www.mobileschool.org

Bruno, Mário, Maria - oder wie überwindet jemand die Armut innerhalb einer Generation?

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der 38 Mitgliedstaaten angehören, hat vor ein paar Jahren eine Studie veröffentlicht mit dem provozierenden Titel „Ist der soziale Aufzug kaputt?“. In dieser wissenschaftlichen Untersuchung werden die Aufstiegschancen für Menschen am unteren Ende der Einkommensleiter statistisch erfasst. Demnach bedarf es in Brasilien nach dieser Publikation 8 Generationen, bis die Nachkommen derjenigen Menschen, die heute zu den 10% der ärmsten Bevölkerungsschicht zählten, es geschafft hätten, das Durchschnittseinkommen zu erreichen. Diese empirische Erhebung berechnet den statistischen Durchschnittswert. 

Die Mädchen und Jungs auf diesem Foto sind in den sozialen Aufzug bei ihrer Geburt in der aller untersten Garagenetage eingestiegen und werden nichtsdestoweniger innerhalb einer Generation die Armut hinter sich lassen. Sie nehmen an einer Gruppe unseres Berufsausbildungszentrums teil, dessen Mitglieder entweder schon studieren oder sich auf die Aufnahmeprüfungen in einer Universität oder technischen Fachhochschule vorbereiten. Diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben das Angebot an unserem Berufsausbildungszentrum wahrgenommen, das wir ihnen direkt während der Familienbesuche in den Armenvierteln unterbreiten konnten. Ich habe grenzenlosen Respekt vor dieser Gruppe, denn jeder von ihnen musste in seinem Leben persönliche Herausforderungen meistern, die ich anhand von ein paar Beispielen nur sehr oberflächlich anreißen kann. „Ich kann dir heute noch den genauen Punkt an der Mauer zeigen, wo die erste Kugel meinen älteren Bruder traf. Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er in sich zusammensackte. Als weiter auf ihn geschossen wurde, war ich gezwungen, die Flucht zu ergreifen. Die Gedanken und Gefühle kann ich bis heute jederzeit aus meinem Gedächtnis abrufen, als ich in schierer Verzweiflung in einem Hintergarten auf die Knie fiel und Gott anflehte, er solle meinen Bruder retten. Dieser Tag hat mein Leben und das Leben meiner Familie völlig auf den Kopf gestellt. Danach lebte ich zusammen mit meiner Mutter auf der Straße. Nach dem Tod meines Bruders haben wir unser Wohnhaus verlassen, denn es war zu gefährlich. Es dauerte nicht lange, bis meine Mutter anfing, Drogen zu nehmen. Sie ist obdachlos und hat sich bis heute von dem Schock nicht wieder erholt.“

Bruno heißt der sitzende Junge im grauen T-Shirt. (Er hat mich autorisiert, wie die beiden anderen, seinen richtigen Namen zu verwenden). Der Kleine Nazareno hat Bruno im Alter von 10 Jahren aufgenommen, als er völlig verwahrlost allein in der Innenstadt von Fortaleza herumirrte. Bevor er volljährig wurde, konnten wir ihm eine Lehrstelle vermitteln. Heutzutage studiert Bruno abends Rechtswissenschaft an einer Universität in Fortaleza, arbeitet ganztags und finanziert sein Studium aus eigenen Kräften. Der Junge mit dem schwarzen T-Shirt, der leicht gebeugt hinter Bruno steht, ist Mário. Mário ist der Cousin von Bruno, und als Kinder lebten beide mit anderen Familienangehörigen auf engstem Raum zusammen. Nach den tragischen Ereignissen hat auch Mário, zusammen mit seiner Oma, ihr gemeinsames Haus verlassen müssen. „Erst mit 9 Jahren ging ich das erste Mal zur Schule. Bei einer Überschwemmung sind mir alle persönlichen Dokumente abhandengekommen, und keine Schule wollte mich deswegen aufnehmen. Obwohl meine Oma im Abfall nach weggeworfenen Wertstoffen suchte, um sie an Zwischenhändler zu verkaufen, sah sie sich gezwungen, vor Supermärkten im Müll nach Essensresten Ausschau zu halten.“ Mit der Zeit konnten sie die Miete für eine sehr einfache Wohnung aufbringen. Mário hatte schon durch seinen Cousin vom Kleinen Nazareno gehört, als wir ihm einen Platz im Berufsausbildungszentrum ermöglichen konnten. Wir konnten ihm so eine Lehrstelle vermitteln, und es ging aufwärts. Nachdem er die Aufnahmeprüfung für Rechtswissenschaft an einer privaten Hochschule bestanden hatte und ihm ein Rabatt von 50% eingeräumt wurde, konnte auch er mit seinem Studium beginnen. Auch er finanziert sein Studium aus eigenen Kräften. Ich werde mich so kurz wie möglich halten, aber ich kann diesen Artikel nicht beenden, ohne von Maria zu berichten (vom Betrachter aus links neben Bruno – die mit dem dicken schwarzen oberen Brillenrand). Noch so eine Kämpfernatur, die wie David gegen Goliath, kolossale Hindernisse überwinden musste. Mittlerweile studiert sie Sozialwissenschaften an der Uni und wird in naher Zukunft ihr erstes Praktikum bei uns absolvieren. „Ich bin in einer armen Hütte, ohne Toilette und die sich bei jeder Regenzeit mit Wasser füllte, groß geworden. Jahrelang haben wir uns ausschließlich von Bohnen und Reis ernährt. Meine Mutter litt unter Rückenschmerzen und hat Probleme mit ihrem Bein. Wir lebten viele Jahre einzig und allein von der Sozialhilfe meiner Mutter, etwa R$ 600,00 im Monat.“ 

(Häuser in den Armenvierteln von Fortaleza) 

Das macht 110,00 Euro im Monat für eine vierköpfige Familie. Es ist eher eine Seltenheit, wenn Jugendliche, die in Armenvierteln leben, nicht auf die ein oder andere Weise mit Gewalt in Berührung kommen. Leider muss auch Maria bis heute ein traumatisches Erlebnis verarbeiten. Sie war 17 Jahre alt und schaute gerade einen Film im Fernsehen, als sie die Schüsse hörte. Mitglieder der rivalisierenden Drogenmafia drangen in eine in der Nähe liegende Sozialwohnung ein. Als der Kugelhagel vorbei war, lagen 5 Tote auf dem Boden, neben den Verletzten, die in ein in der Nähe liegendes Krankenhaus gebracht wurden. An die Brunos, Mários und Marias: Ihr wurdet schon als Kinder ausgegrenzt, an den Rand der Gesellschaft gedrängt, zu einem täglichen Überlebenskampf und einer beschämenden Perspektivlosigkeit verdammt! Euch und allen anderen zollen wir unsere Anerkennung! Ihr habt es nicht versäumt, die wenigen Gelegenheiten, die euch das Leben beschert hat, beim Schopf zu packen und nicht mehr loszulassen! Es ist uns eine Ehre und ein Privileg, euch auf eurem Lebensweg helfend zu begleiten!

Auszeichnung des Kleinen Nazareno für die Arbeit in den Armenvierteln 

Ich kann mich noch gut an eine spontane Umfrage erinnern, die wir vor Jahren in der Kapelle vom Nazareno-Dorf/Fortaleza durchgeführt haben. Fast jedes anwesende Kind hatte Familienmitglieder durch tödliche Gewaltanwendung verloren. Ohne psychologische und soziale Unterstützung kommen die aufgrund der extremen Armut schon vorher bestehenden sehr fragilen Familienstrukturen vollends zum Erliegen. Es war mir immer auch ein persönliches Anliegen, besonders diesen Familien zu helfen. Heute treffen sich einmal in der Woche Mütter, die schier unvorstellbares Leid erfahren haben. 

(Selbsthilfegruppe von Müttern, unter der Leitung von Geovana, Psychologin des Kleinen Nazareno) 

Unter der Begleitung von geschulten Fachkräften nehmen sie an einer Selbsthilfegruppe teil, die wir Anfang dieses Jahres gegründet haben. Für die meisten Teilnehmerinnen ist es das erste Mal, dass sie mit anderen Menschen sprechen können, die ähnlich traumatisierende Ereignisse durchlebt haben. Sie erzählen von ihrer Scham, ihren Selbstvorwürfen, von den Reaktionen ihres sozialen Umfeldes, den Schwierigkeiten ihren Alltag zu bewältigen. Jedes liebe Wort, jede noch so einfache Geste, alles ist von unschätzbarem Wert, selbst wenn die Zeit nicht zurückgedreht werden kann. Neben der Gruppentherapie stehen immer wieder Ausflüge und die Teilnahme an Bildungsseminaren auf dem Programm. Ich habe bisher nur einmal an der Gruppe teilgenommen, denn für Außenstehende wie mir ist sie vernünftigerweise nicht zugänglich. Viele Aussagen haben mich aufs Tiefste berührt, wie die von einer Mutter: „Eines Abends, nachdem ich den ganzen Nachmittag beim Kleinen Nazareno verbracht habe, kam ich nach Hause. Ich habe meine ganzen Kinder zusammengetrommelt. Wir haben das erste Mal, nachdem es passiert war, als Familie über alles gesprochen, zusammen geweint und uns danach in die Arme genommen. Es war, als wenn ein Nebelschleier sich langsam auflöste.“ Neben der punktuellen humanitären Hilfe im Bereich Gesundheit, Unterkunft und Ernährung, der Durchführung von sportlichen und kulturellen Tätigkeiten, der Begleitung von Jugendgruppen, der Betreuung von minderjährigen schwangeren Mädchen wurde die Arbeit dieser Selbsthilfegruppe hervorgehoben, als im Rahmen eines Festaktes im Plenarsaal des Stadtrates von Fortaleza dem Kleinen Nazareno am 9. November die Auszeichnung verliehen wurde. Einmal im Jahr vergibt eine Kommission aus staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen diese Ehrung an Vereine, die im Laufe des Jahres in den Elendsvierteln von Fortaleza die armen Familien unterstützt und humanitäre Hilfe geleistet haben. 

(Wilker, langjähriger Mitarbeiter des Kleinen Nazareno, hat die Auszeichnung entgegengenommen)

Der beste Arbeitsplatz des Kleinen Nazareno 

In unserem Büro in der Innenstadt von Fortaleza gibt es einen sehr begehrten Arbeitsplatz, wie mir ein Mitarbeiter neulich erzählte. Jeder möchte möglichst nah an dem Tisch arbeiten, von dem aus sie einen Blick auf diejenigen Jugendlichen haben, die in unser Büro kommen, um ihren Vertrag zu unterschreiben, der ihnen eine Lehrstelle garantiert. Es sei ein tiefgreifender Einschnitt und ein Hoffnungsschimmer, endlich eine Perspektive zu bekommen, um der Spirale aus Armut und Gewalt zu entfliehen, sagte Ana, eine von über 200 Jugendlichen, denen wir eine Lehr- oder Arbeitsstelle besorgen konnten und die an unserem Berufsausbildungszentrum teilnimmt. Joana weiß, wovon sie redet. Sie lebt zusammen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in einer Armensiedlung. 

(Sozialarbeiterin Flaviana, zusammen mit der Familie ihrer Namensvetterin) 

Bei unserem zweiten Besuch waren schon strukturelle Verbesserungen in dem Haus zu beobachten, in dem die Mutter von Ana, Flaviana, seit einigen Monaten lebt. Nicht ohne Stolz machte sie uns auf den Zementboden aufmerksam. Bei unserem ersten Besuch fügte Flaviana gerade ein paar Holzplatten ein, um die Hauswände zu stabilisieren, und der Boden war aus Sand. Bevor sie ihr Haus zusammen mit anderen Gemeindemitgliedern errichtete, gab es dort nur eine Wiese, so erzählte sie uns. Trotz aller Entbehrungen und einem mulmigen Gefühl in der Magengegend, wenn sie an die kommende Regenzeit denkt, machte die Mutter von Joana einen fast glücklichen Eindruck. Sie beschrieb kurz, wie sie dazu kam, als sie den Mut aufbrachte, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Sie redete nicht gerne über dieses Thema, weshalb wir auch nicht weiter nachhakten. Aber von einem Tag auf den anderen sah sie sich völlig mittellos und bekam bei der bloßen Vorstellung regelrechte Panikattacken, dass sie jetzt vielleicht auf der Straße leben müsse, zusammen mit ihren beiden Töchtern und ihrem Sohn. Doch sie hatte von dieser neuen Armensiedlung gehört, in der Nähe vom Hafenviertel, wo auch andere Familien aufgrund sehr ähnlicher persönlicher Notlagen darauf angewiesen waren, egal wie, ein Haus, oder passender, eine Behelfsunterkunft aus dem Boden zu stampfen. Hauptsache, ein Dach über dem Kopf! Wir werden diese Familie weiter unterstützend begleiten. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich auch beim nächsten Mal auf Verbesserungen der allgemeinen Lage von Flaviana treffen werde. Und noch etwas: Auch ich möchte definitiv an dem Tisch arbeiten, wo ich diejenigen jungen Leute, so wie Ana, beobachten kann, wenn sie ihre ersten Arbeitsverträge unterzeichnen! 

Eröffnung eines Hauses für Mädchen in Manaus 

Mit dem Ziel der vollständigen Isolierung von Menschen mit Lepra entstand im Jahr 1942 am äußersten Stadtrand von Manaus eine kleine Kolonie. Die Diagnose Lepra führte damals zu erzwungener Zwangsinternierung, die ganze Familien auseinanderriss. Nach der Schließung des Leprakrankenhauses siedelten sich immer mehr Menschen dort an, und es entstand ein ganzes Stadtviertel namens Colônia Antônio Aleixo, das mittlerweile etwa 20.000 Einwohner umfasst. Einmal im Jahr wird in Brasilien der Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI) veröffentlicht. Die Colônia Antônio Aleixo wird als eines der acht ärmsten Stadtviertel von Brasilien aufgeführt, was das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) veranlasste, ein Programm ins Leben zu rufen, um sich für die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen in diesen Gemeinden einzusetzen. Um ein konkretes Hilfsprojekt für die Colônia Antônio Aleixo zu entwickeln und durchzuführen, wurde unsere Filiale in Manaus beauftragt. (Maíssa ist eine der Jugendlichen, die durch das Projekt UNICEF von uns unterstützt wird) Das Hilfsprogramm sieht die jährliche Durchführung von Bildungsseminaren für 400 Jugendliche sowie kulturelle und sportliche Aktivitäten vor. Neben den 100 Jugendlichen im Hauptsitz des Kleinen Nazareno/Manaus können weitere 100 junge Menschen, die in der Colônia Antônio Aleixo wohnen, an den Aktivitäten unseres Berufsausbildungszentrums teilnehmen. In Manaus gibt es im Unterschied zu Fortaleza nicht genug staatliche Einrichtungen, um Straßenkinder aufzunehmen. Die Verträge mit der Stadt werden deshalb jedes Jahr verlängert, damit der Kleine Nazareno/Manaus weiterhin die Möglichkeit hat, 10 Kinder und Jugendliche im Hauptsitz zu betreuen. Neben diesen 10 Kindern und Jugendlichen im Hauptsitz wurde vor einem Monat ein weiteres Haus eröffnet, das sich in der Colônia Antônio Aleixo befindet und vom Kleinen Nazareno von der örtlichen Pfarrei zur Verfügung gestellt wurde, um ausschließlich Mädchen aufzunehmen. In enger Absprache mit dem dort zuständigen Jugendamt wurden bisher 6 Mädchen bei uns aufgenommen. 

(Tommazo, Leiter des Kleinen Nazareno/Manaus beim Besuch der Aufnahmestelle für Mädchen)

„Einlieferung“ von Rafael ins Nazareno-Dorf/Recife 

Bei einer primären Kardiomyopathie, einem Herzfehler, allgemein auch als „Loch im Herzen“ bekannt, kommt es zu einer Vergrößerung der linken Herzkammer und einer Abnahme der Pumpleistung, sodass es häufig zu einer Abnahme der körperlichen Belastbarkeit kommt. Übersetzt hieß es, dass Rafael sich dringend einer Herzoperation unterziehen musste. Er hatte es immer schon geahnt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte, denn während die anderen Jungs dem Ball hinterherliefen, musste er sich nach jeder kleinen Anstrengung erst einmal ausruhen. Erschwerend kam hinzu, dass er auf der Straße lebte und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, geschweige denn zu einer delikaten Herzoperation hatte. Es war im März dieses Jahres, als Severino, Streetworker in Recife, zum ersten Mal auf Rafael traf. Doch selbst verschiedene Gespräche und die Fotos, die er ihm vom Nazareno-Dorf vorhielt, zeigten keine Wirkung. Erschwerend kam hinzu, dass Rafael immer abwesend schien, denn sein ständiger Begleiter bestand aus einem Beutel, der mit Schnüffelstoff (Klebstoff) gefüllt war und den er sich immer wieder vor die Nase hielt. Natürlich wurde auch die Familie ausfindig gemacht. Rafael hatte ihn schon vorgewarnt, denn es war die Drogenabhängigkeit seiner Mutter, die ihn dazu trieb, sich allein auf der Straße durchzuschlagen. Obwohl wir grundsätzlich keine Kinder gegen ihren ausdrücklichen Wunsch im Nazareno-Dorf aufnehmen, machen Ausnahmen die Regel, und als sich der Zustand von Rafael verschlechterte, ging Severino schnurstracks zum Jugendamt. Innerhalb von wenigen Tagen wurde Rafael ins Nazareno-Dorf „eingeliefert“. 

(Rafael bei den Untersuchungen vor der Herzoperation) 

Alles musste nun schnell organisiert werden. Juliana Neves, eine renommierte Fachärztin für Kardiologie, wurde durch den Bruder von Severino, einen Bekannten usw. auf den Fall aufmerksam und operierte Rafael. Schon nach wenigen Tagen wurde Rafael mit einem geheilten Herz aus dem Krankenhaus entlassen. Er hatte während des ganzen Prozesses keine Angst. Im Gegenteil. Er freute sich, dass ihm jetzt die Möglichkeit eröffnet wurde, endlich wie die anderen Kinder ausgelassen zu spielen oder einfach einem Fußball hinterherzulaufen. Ihr dürft raten, ob es ihm mittlerweile bei uns gefällt! Es war knapp, aber wir freuen uns unheimlich, dass er trotz anfänglichem Widerwillen den Weg ins Nazareno-Dorf gefunden hat. Und eine weitere gute Nachricht: Seit vielen Monaten hat seine Mutter aufgehört, Crack zu rauchen. Sie hat einen neuen Partner, und beide haben Rafael im Nazareno-Dorf schon besucht. Vielleicht birgt die Zukunft für Rafael auch noch die Chance auf eine Rückkehr in die Familie! Rafael ist einer von 16 Kindern und Jugendlichen, die derzeit im Nazareno-Dorf/Recife leben. Wir drücken ihm und allen anderen für den weiteren Lebenslauf alle Daumen! 

(Rafael nach der lebensrettenden Operation)

Weihnachtsgruß von Bernardo 

Vom Trappistenmönch Thomas Merton stammt der lapidare Satz: „Die größte Entfernung ist die vom Kopf bis zum Herzen.“ Jede Geste, die aus der menschlichen Gabe des Mitfühlens, der Empathie entspringt, verändert nicht nur die Situation von Menschen, die an Gewalt, Armut und sozialer Ausgrenzung leiden. Ohne dass wir es kurzfristig bemerken, aber es verändert uns selbst. Viele Jahre habe ich den Standpunkt vertreten, dass ich auf der Stelle, noch im Frankfurter Flughafen, im Juli 1986, kehrt gemacht hätte, wenn ich im Voraus auch nur das Geringste geahnt hätte, was da auf mich zukommt. Ich muss gestehen, dass ich nicht ohne ein gewisses Staunen, gerade so in der letzten Zeit, feststelle, dass ich diesbezüglich meinen Standpunkt vielleicht doch noch revidieren werde. Um bei Thomas Merton noch eine Weile zu verbleiben: Sein autobiographisches Buch, in dem er die Jugendzeit und seinen Eintritt in das Trappistenkloster beschreibt, endet mit einem kurzen lateinischen Satz, der übersetzt heißt: Das Buch mag zu Ende sein, die Suche geht weiter! Er bezog sich damit nicht allein auf seine persönliche Suche nach der Stille, der Einsamkeit, nach einer tief verankerten Spiritualität und letztlich nach Gott. Es ging ihm bei allen seinen Vorträgen und Veröffentlichungen darum, Wege aufzuzeichnen, wie Menschen verschiedener Konfessionen, Kulturen und Staatengemeinschaften in Frieden miteinander leben können. 

Euch allen, die uns geholfen haben, unzähligen Menschen in diesem Jahr in ihrer konkreten Notlage zu helfen, und allen anderen friedliebenden Menschen, möchte ich diese Weihnachtsnachrichten widmen. Im Namen des ganzen Nazareno-Teams von ganzem Herzen, unser Dankeschön! Danke für eure Unterstützung und dass ihr uns auf unserer Suche, eingeschlossen meiner eigenen, so liebevoll seit vielen Jahren begleitet! Euch allen ein wunderschönes und gesegnetes Weihnachten! Euer Bernardo aus Brasilien!

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