Skip to content
fsdfg fsdg

Weihnachtsnachrichten 2022

Liebe Freundinnen und Freunde des Kleinen Nazarenos,

„Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten. Ein Zehntel der Energien, die die kriegführenden Nationen verbrauchen, ein Bruchteil des Geldes, das sie mit Handgranaten und Giftgasen verpulvert haben, wäre hinreichend, um den Menschen aller Länder zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen.“ (Albert Einstein, 1933) 

Auch schon vor 90 Jahren wusste Albert Einstein, was wichtiger auf der Welt ist. Nämlich seine Kräfte für Menschen und nicht gegen Menschen einzusetzen. Leider haben wir in den vergangenen Monaten selbst in Europa das Gegenteil erlebt. Und kein Tag vergeht seit dem 24. Februar, wo wir nicht in Gedanken bei den Opfern des Krieges sind. 

Dennoch dürfen und müssen wir den Blick auch auf andere Kriege richten. Die Geschichten, die Sie gleich lesen, sind Geschichten von Opfern des Banden- und Drogenkriegs in Brasilien. Unzensiert und schmerzhaft – brasilianische Realität. Wenn es für uns aus der Ferne schon so schlimm ist, wie muss es dann denn erst sein, wenn man mitten drin ist? Seit 28 Jahren sind wir mitten drin im Leid der Opfer, in den Schicksalen und in der Hilflosigkeit. Und jedes Jahr ist eine neue Herausforderung nicht den Kopf hängen zu lassen, zu resignieren oder zu verzweifeln. Ich weiß nicht, wie er das schafft – unser Bernardo. Aber ich denke, und das werden Sie sicher selbst in jeder Erzählung von ihm finden, es steckt in jedem Bericht auch irgendwie immer eine Hoffnung, ein kleiner Strohhalm, ein kleiner oder auch großer Erfolg. 

Ja, es ist oft sehr schlimm, doch es geht darum, gerade nicht den Kopf hängen zu lassen, sondern anzupacken. Zu schauen, wie man den Kindern und deren Familien am besten helfen kann. Es geht darum die Kräfte zu entfesseln und den Menschen zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen. 

Für Ihre Spenden und Ihre Kräfte möchte ich mich im Namen aller bei Ihnen und Ihrer Familie von ganzem Herzen bedanken. 

Ich wünsche Ihnen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Werner Rosemeyer, 1. Vorsitzender

 

Die Hauptursache der erschütternden Lebensläufe der vom Nazareno-Dorf in Fortaleza aufgenommen Kinder geht heute ausnahmslos auf den Drogenkonsum von Mitgliedern ihrer Kernfamilie zurück. Wie eine Walze, die alles unter sich zerstört, frisst sich der Drogenkonsum von Angehörigen mit all den desaströsen Konsequenzen tief in die Herzen und das Selbstverständnis der Kinder ein. Es ist jetzt drei Jahre her, dass mich Antônio Carlos, Streetworker vom Kleinen Nazareno, vom Krankenhaus aus anrief.

(Ricardo bei seiner ersten Aufnahme im Nazareno-Dorf/Fortaleza)

Er besuchte Ricardo, der gerade vom Operationsaal für die stationäre Behandlung auf ein Mehrbettzimmer gekommen war. Seine beiden Hände waren fast bis zum Ellenbogen in einen Schienenverband eingewickelt, denn die Verletzungen waren beträchtlich. Zwei Kugeln in jeder Hand hatten Blutgefäße, Nerven und Handknochen durchtrennt. Von der kriminellen Organisation, die in seiner Gemeinde die Rechtsprechung hat, war er beim Stehlen ertappt worden. Auf der Stelle verurteilt, wurde er dazu gezwungen, seine beiden Hände auszustrecken, immer wieder aufs Neue, bis alle vier Schüsse abgefeuert waren. 

Auch bis zu diesem traumatischen Erlebnis hatte ihn das Leben nicht mit Samthandschuhen angefasst. Der Vater, wie auch seine Mutter, waren drogenabhängig und starben, als er noch klein war. Eine enge Beziehung hatte er zu seiner Oma, die schon gesundheitlich angeschlagen war, als Ricardo von ihr aufgenommen wurde. Nach ihrem Ableben hat sich eine Tante bereit erklärt, sich um ihn zu kümmern. Damals war er 8 Jahre jung und hatte schon alle Personen verloren, die ihm etwas bedeuteten. 

Daher kann es kaum überraschen, dass er Schwierigkeiten hatte, sich wieder neu zurechtzufinden. Rebellisch und aufmüpfig kam er immer später nach Hause, bis er endgültig das Weite suchte. 

So kam er das erste Mal zum Kleinen Nazareno. Mehr schlecht als recht hat er es immerhin zwei Jahre lang geschafft, sich den Regeln im Dorf unterzuordnen, aber trotz aller Bemühungen, auch seitens der Psychologin, beschloss er, ohne uns zu fragen, zurück zu seiner Tante zu gehen. Wir hatten nur spärliche Informationen über seine persönliche Situation, bis zu dem Zeitpunkt, als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde und er eine Krankenschwester bat, unseren Mitarbeiter anzurufen. 

So kam Ricardo das zweite Mal zum Kleinen Nazareno. Es würde mich freuen, wenn ich euch jetzt eine authentische Bekehrungsgeschichte präsentieren könnte. In Wirklichkeit, um es milde auszudrücken, strapazierte er nicht nur unsere Geduld, sondern schaffte es immer wieder, uns an die eigenen Grenzen zu bringen.

 
Umso größer war die Überraschung, als wir erfuhren, dass ausgerechnet unser Ricardo (rechts vorne) unter vielen Mitstreitern zusammen mit Caroline (links im Bild) vom Berufsausbildungszentrum einen der sehr begehrten Ausbildungsplätze beim staatlichen Mineralunternehmen Petrobrás ergattert hatte. Neben vielen anderen Vergütungen bekommen die Auszubildenden dort einen vollen Mindestlohn, doppelt so viel wie in anderen Betrieben. Dem theoretischen Unterricht wird viel Gewicht zugemessen und ein erfolgreicher Abschluss der Ausbildung mündet in einen Vertrag als offizieller Angestellter der Petrobrás. Wir wissen gar nicht mehr wohin vor lauter Freude, dass Ricardo damit die Chance hat, seinem Leben eine neue und positive Richtung zu geben. An seinem ersten Arbeitstag haben wir ihn, zusammen mit Caroline und ein paar Jungs, die schon arbeiten, aber noch im Nazareno-Dorf leben, zum Mittagessen eingeladen. 

Und wo wir schon dabei sind, folgt nun noch eine außergewöhnliche Geschichte von jemandem, der auch mit ins Restaurant eingeladen wurde. Von Francisco hatte ich interessanterweise schon gehört, als er noch im Mutterleib ruhte. Es ist genau 17 Jahre her, dass ich zusammen mit meinen Mitarbeiter/innen eine sehr liebe Frau kennenlernte, die unter einer Brücke zusammen mit ihren Enkelkindern in erbärmlicher Armut hauste. 


(Oma von Francisco)

Ihre Tochter sei schwanger, so erzählte sie uns. Es sei ein Junge und er würde wohl auch unter der Brücke wohnen müssen. Dem Neugeborenen und seiner Mutter blieb zumindest dieses erspart, denn nach ein paar Monaten bekam ich die Nachricht, dass die Oma, zusammen mit ihrer Tochter und ihren Enkelkindern eine Wohnung in einem Elendsviertel gemietet hatte. Das neugeborene Kind nannte sich Francisco. Als dieser 7 Jahre alt war und auf der Straße lebte, haben wir ihn bei uns aufgenommen. Seine Oma ist vor ein paar Jahren leider verstorben. Ich hätte ihr noch liebend gerne die Freude gemacht und erzählt, dass ihr Enkelkind eine Arbeitsstelle bei einem Pharmaunternehmen angetreten hat und dass es ihm, im Vergleich zu früheren Zeiten, ausgezeichnet geht. 

Es handelt sich um unseren Francisco, der fast zwei Jahrzehnte später, zusammen mit Ricardo, Caroline, der Leiterin des Berufsausbildungszentrums und zwei weiteren Jugendlichen, die eine Lehrstelle angetreten haben und weiterhin im Nazareno-Dorf leben, von uns zum Mittagessen eingeladen wurden. Gründe zum Feiern gibt es zur Genüge.

 

(Francisco, 16 Jahre)

Endlich bin ich an den Orten angekommen, wo die ganze Situation der Straßenkinder seinen Ursprung nimmt. Straßenkinder stammen alle aus Elendsvierteln. Es sind Orte der stillen Verzweiflung, der Armut und einer Gewalt, die jegliche Vorstellungskraft übertrifft und in denen die soziale Ungerechtigkeit in Brasilien am schmerzhaftesten ins Auge sticht. Durch die Reduzierung der Anzahl der Kinder, die in Fortaleza auf der Straße leben, haben wir die Gelegenheit, auf die wir uns seit Jahrzehnten vorbereiten konnten: die Orte aufzusuchen, wo das ganze Leid anfängt. 

Selbstverständlich hat der Kleine Nazareno einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, dass heute zahlenmäßig weniger Kinder in Fortaleza ohne Begleitung eines Familienangehörigen auf der Straße wohnen. Ausschlaggebend für diese soziale Veränderung ist aber vorrangig die gewaltige Macht der Drogenkartelle, die willkürlich territoriale Grenzen festlegen. Das Grundrecht auf körperliche Bewegungsfreiheit, sich in Gebieten aufzuhalten, die von anderen Drogenkartellen kontrolliert werden als dort, wo jemand seinen Wohnsitz hat, ist völlig außer Kraft gesetzt. 

Nur wer in Fortaleza die finanziellen Mittel besitzt, in einem der wenigen Stadtviertel für besonders Wohlhabende zu leben, oder in den geschlossenen Wohnanlagen, die durch ihre diversen Sicherheitsmaßnahmen eher an Hochsicherheitstrakte erinnern, kann sich dem totalitären Dominanzstreben der kriminellen Organisationen weitgehend entziehen.

 
Aufgrund dieser im allgemeinen sehr angespannten Lage kam seitens der Gemeindevorsteher und der Menschen in den Elendsvierteln, immer wieder die bange Frage auf, ob der Kleine Nazareno auch weiterhin die Familien in den Elendsvierteln unterstützen würde, als das weitgefächerte Sozialprojekt des Mineralunternehmens Petrobrás, zu Ende ging. 

Der entscheidende Moment erinnerte mich an den sprechenden Frosch, den Antoine de Saint-Exupéry, in „Der Kleine Prinz“ sagen lässt: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ Oder auf gut deutsch: Es war schon zu spät, um uns einfach aus dem Staub zu machen! Wir hatten eine auf die Realität in den Elendsvierteln abgestimmte Methode der Einzelfallhilfe, der sozialen Gruppenarbeit und der Gemeinwesenarbeit, die drei klassischen Säulen der Sozialen Arbeit entwickelt. 

Ausschlaggebend war die Feststellung, dass wir Freundschaften und Vertrauen aufgebaut hatten und dass wir durch unser Engagement das Lebens von hunderten von Kindern, Jugendlichen und deren Familien nachhaltig beeinflusst haben. Wir beschlossen einstimmig die Arbeit in den Elendsvierteln nicht mehr projektbezogen, sondern als eigenständiger und permanenter Bestandteil des Tätigkeitsfeldes vom Kleinen Nazareno zu betrachten. 

Beispiele einiger der Heraus­forderungen, mit denen wir uns in den Elendsvierteln tagtäglich konfrontiert sehen:

 
Dona Patrícia, wie so viele andere Mütter und Väter, sucht im Müll nach wiederverwertbaren recyclebaren Wertstoffen, die sie an einen Zwischenhändler verkauft. Der Ehemann ist arbeitslos, aber versucht es mit Hilfsjobs jeden Tag aufs Neue. Weil Patrícia keine persönlichen Dokumente besitzt, bekommt ihre Familie keine staatliche Sozialhilfe, obwohl sie Anspruch darauf hätte. Keines ihrer Kinder geht zur Schule, da die Einschreibung nur nach Einreichung der Geburtsurkunde erfolgen kann. 

Drei Behördengänge waren nötig, um dieser Familie zu helfen. Jedes ihrer Kinder geht heute zur Schule und die Familie bekommt monatliche Sozialhilfe von R$ 600,00 (120,00 Euro). 

Aufgrund der hohen Anzahl von Familien, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, haben wir zusammen mit den Gemeindevorstehern bei der Stadt einen Antrag gestellt, der bewilligt wurde. Auf einem brachliegenden öffentlichen Platz in der Nähe von einigen Elendsvierteln, in denen wir tätig sind, haben eine ganze Reihe von Sachbearbeitern in drei vom Sozialamt eigens ausgestatteten Containern über hundert verwaltungs­rechtliche Prozesse bearbeitet, mit dem Ziel, die persönlichen Dokumente der Kinder, Jugendlichen und deren Familien auszustellen. 

(Ausstellung der persönlichen Dokumente)

Besonders in Erinnerung bleiben die persönlichen Schicksalsschläge der Familien, die wir kennenlernen. 

Ein Gemeindevorsteher hatte uns gebeten, Dona Francisca zu besuchen. Sie lebte in einer schutzlosen Baracke, als ein paar bewaffnete Männer ihre Tür aufbrachen und anfingen wild zu schießen. Erst als sie merkten, dass einer der Söhne von Francisca, der im Eingang in einer Hängematte schlief, keine Lebenszeichen mehr von sich gab, stürmten sie aus dem Haus. Ihr Sohn hatte nicht die geringste Chance zu entfliehen und starb, bevor er ins Krankenhaus eingeliefert werden konnte. 

Dona Francisca wusste, neben dem Schock und der Trauer um ihren verstorbenen Sohn, weder ein noch aus. Sie hatte keine finanziellen Möglichkeiten eine einfache Wohnung zu mieten und schaffte es auch nicht, zusammen mit ihren drei weiteren Kindern in der Baracke zu schlafen, in der ihr Sohn ermordet wurde. 

Sie sah sich schon zusammen mit ihren Kindern auf der Straße, litt unter Panikattacken und Existenzangst und nahm starke Psychopharmaka zu sich. Es war eine unbeschreibliche Erleichterung für sie, als wir ihr bei unserem ersten Treffen das Angebot machten, für ein paar Monate die Miete zu übernehmen, um dann weiterzusehen. Auf Wunsch von Francisca und in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Gemeinde­vorsteher sind wir mittlerweile dazu übergegangen, die Baracke von Dona Francisca zu renovieren. 

Bei Fertigstellung möchte sie dann mit ihrer Familie entscheiden, ob sie endgültig zurückkehrt, oder ob sie ihr „Haus“ vermieten wird, um davon die Miete des Hauses zu zahlen, in dem sie zurzeit leben. 

Brasilien ist bekanntlich eines der größten Lebensmittelproduzenten der Welt. Acht Jahre nachdem das Land die Ernährungsunsicherheit soweit reduziert hatte, dass es von der Hunger-Charta der Vereinten Nation gestrichen wurde, ist es leider wieder auf die Liste zurückgekehrt. 

Um es auf den Punkt zu bringen – und nach 36 ½ Jahren, in denen ich hier lebe, gestatte ich mir es flapsig ausdrücken: Brasilien ist in den letzten 8 Jahren richtig den Bach runtergegangen! Nur unser noch bis zum
1. Januar im Amt verweilender Präsident, hat es geschafft, dem ganzen noch die Krone aufzusetzen. Wie beim Gang nach Canossa und obwohl wir für den Kleinen Nazareno keine Gelder mehr von der Petrobrás erhalten, hat sich das Unternehmen nach mehreren Anfragen bereit erklärt, die Lebensmittelkarten für die im letzten Jahr ausgewählten 6.159 armen Familien zu erneuern.

Daneben wurde ein Projekt, das wir der gemeinnützigen Hilfsorganisation „Ein Herz für Kinder“ geschickt hatten, bewilligt. Es geht bei dem auf ein Jahr begrenzten Projekt im Kern darum, Familien ausfindig zu machen, die drei oder mehr Kinder haben, in absoluter Armut leben und die an Mangel- oder im schlimmsten Fall an akuter Unterernährung leiden.

(Besuch einer der begünstigten Familien) 

Jeder dieser 333 Familien, die wir ausgesucht hatten, wurden Lebensmittelkarten im Wert von rund 300 Euro ausgehändigt. Ich erspare uns allen eine detaillierte Situationsbeschreibung der Familien, die ich während des Jahres besuchen konnte. Es reicht zu sagen, dass mir abends manchmal das Essen im Hals stecken blieb, wenn ich den Tag noch einmal Revue passieren ließ. Von Herzen dankbar bin ich all denjenigen, die es dem Kleinen Nazareno ermöglicht haben, jeder dieser Familien zu helfen. 

Es geht mir nicht allein um die Besuche von Familien, die der Kleine Nazareno direkt unterstützt, wenn ich mich jede Woche aufs Neue in den Elendsvierteln von Fortaleza aufhalte. Vom brasilianischen Theologen Leonardo Boff stammt der Satz: Mit unserem Kopf reflektieren wir über die Realität, in der wir uns mit unseren Füßen bewegen. Das ist mein persönlicher „Beweggrund“, weshalb ich mich aufmache und nicht müde werde, immer wieder in eine mir vertraute und zugleich fremd erscheinende Welt einzutauchen. Es ist die Welt der Armen, die neben den vielen Entbehrungen immer stärker unter dem Joch der organisierten Drogenkartelle leidet, die ihre Wachposten an für sie strategisch wichtigen Straßenecken platzieren, denen auch wir nicht ausweichen können.

So war es uns auch nicht möglich, unbemerkt Mathias zu besuchen, der vor einigen Tagen eine Lehrstelle bei einem Supermarkt angetreten hatte. Meine Mitarbeiter hatten mich auf seine Lebensgeschichte aufmerksam gemacht. Nachdem wir uns durch enge Gassen geschlängelt hatten, alle Wachposten passiert hatten und immer wieder nachfragen mussten, standen wir vor seiner Haustür, wo er schon auf uns wartete. Geplant war ein kurzer Besuch, um ihn zu seinem Erfolg zu beglückwünschen und ein paar organisatorische Fragen zu klären, da er einmal in der Woche am theoretischen Unterricht der Berufsaus­bildungsstätte vom Kleinen Nazareno teilnehmen müsse. Aber als sich Flaviana, eine Mitarbeiterin, die mich oft bei den Besuchen begleitet, nach seiner Mutter erkundigte, bot er uns einen Stuhl an und verwickelte er uns in ein Gespräch, dass erst nach über einer Stunde endete.

 

(Berufsausbildungszentrum des Kleinen Nazareno in Fortaleza)

Seine alkoholsüchtige Mutter lebt auf der Straße. Sein jüngerer Bruder wurde nicht weit von dem Haus, in dem sie lebten umgebracht. Seine beiden älteren Brüder sind im Gefängnis. Er lebte abwechselnd mal bei seiner Tante und mal bei seiner Oma. 

Es wäre ein leichtes für ihn gewesen auch in die Drogenkriminalität oder in die Verzweiflung auf der Straße abzudriften. Was ihn davon abhielt, ist die Liebe zu seiner Mutter, die nach dem Mord an ihrem Sohn völlig den Boden unter den Füßen verloren hatte. 

Mathias ist einer von vielen, denen wir eine Lehrstelle vermitteln konnten. Aber nicht jeder hat den Traum, mit dem ersten Lohn der eigenen Mutter eine Wohnung zu mieten, damit sie nicht mehr auf der Straße leben braucht. Es war gar nicht so einfach, seine Mutter auf der Straße zu finden, als ihm die Lehrstelle und damit auch das monatliche Gehalt garantiert wurde. Er wollte ihr den Vorschlag machen, von seinem ersten Lohn eine Wohnung zu mieten, in der sie beide zusammenleben könnten. Sie solle die Möglichkeit haben, nicht nur der Straße den Rücken zu kehren, sondern auch den ganzen Schmerz hinter sich zu lassen und ein neues Leben anzufangen. 

Seine Mutter war in einem miserablen Zustand, als er sie endlich in der Innenstadt von Fortaleza gefunden hatte. Er sagte, er wäre ganz aufgeregt gewesen und voller Hoffnung. Aber es war kein guter Tag für seine Mutter.

Obwohl sie sich bei ihm bedankte und sich auch sichtlich über seinen Besuch freute, so sagte sie nur: „Mathias! Ich kann es nicht! Lass mich einfach hier.“ Mathias meinte, er fühle sich verantwortlich für das Leben und das Wohl seiner Mutter. Wir freuen uns, ihm die Möglichkeit auf eine Lehrstelle verschafft zu haben, müssen leider aber mitteilen, dass wir vor einigen Tagen die traurige Nachricht erhalten haben, dass seine Mutter auf der Straße gestorben ist.

Kurznachrichten:

Als wir die Miete für den Sitz unserer Tätigkeiten in den Elendsvierteln nicht mehr aufbringen konnten, haben sich freundlicherweise die Comunidades Eclesiais de Basis, verkürzt CEB’s (Basisgemeinden) der katho­lischen Kirche angeboten, uns ihre Räumlichkeiten bei größeren Versammlungen zur Verfügung zu stellen. So war es uns möglich, in den letzten Monaten diverse Veranstaltungen und Seminare über Erwachsenenbildung zu organisieren, was besonders bei den Frauen und Müttern auf große Zustimmung stieß. Innerhalb weniger Stunden organisierten Mitarbeiter des Kleinen Nazarenos so auch ein Treffen im Versammlungssaal des neuen Standorts, in dem Vertreter eines Discounters die Bedingungen zur Einstellung von 20 neuen Mitarbeitern erläuterten. Das Einstellungsverfahren dauert noch an, aber wir sind voller Hoffnung, dass einige der Mütter und Väter, die wir begleiten, angenommen werden.

(Neuer Standort in Zusammenarbeit mit der CEB’s)

Vielleicht liegt es nicht zuletzt an unserem Sportzentrum in Maranguape, dass unsere Jungs bei der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft der Straßenkinder (Street Children World Cup) in Doha nicht wie bei den vorherigen Spielen in den Vorrunden normalerweise schon ausscheiden, sondern sich von 15 Mannschaften aus der ganzen Welt den ganz beachtlichen dritten Platz erkämpft haben. Der einzige, der nicht mit uns trainieren konnte, war Henrique (ganz rechts im Bild).

 
Er lebte auf der Straße in der Innenstadt von Recife, als er von einem Mitarbeiter unserer Filiale angesprochen wurde und im dortigen Nazareno-Dorf aufgenommen wurde. 

Sein Traum sei es, professioneller Fußballspieler zu werden. Obwohl er seinem Ruf als Torjäger alle Ehre machte und wir ohne ihn vielleicht wieder nicht über das Achtelfinale hinausgekommen wären, sind die Chancen doch eher gering. Denn fast jeder Jugendliche, besonders aus einfachen sozialen Verhältnissen, träumt davon Richarlison, oder bei den Mädchen, eine Marta zu werden. 

Egal – denn es ist einfach toll, die Begeisterung der jungen Brasilianer und Brasilianerinnen für Fußball bei uns miterleben zu dürfen.

(Eine der fünf Mannschaften, die zur Zeit in unserem Sportzentrum trainieren)

Nach zwei Jahren Stillstand läuft unsere Bäckerei im Nazareno-Dorf/Recife wieder auf Hochtouren. Dabei bekamen wir unerwartete Hilfe von einem früheren Mitarbeiter, kurz Chiquinho genannt, erster Leiter von unseren Einrichtungen in Recife. 

Schon vor vielen Jahren hat er selbst eine Nicht­regierungs­organisation nicht weit vom Nazareno-Dorf entfernt gegründet, wobei er sich dabei auf Nachhilfestunden, spielerische Aktivitäten und Freizeitgestaltung für Kinder und Familien spezialisiert hat. 

Bei einem der Elternabende haben die Mütter selbst davon geschwärmt, wie gerne sie neue Aktivitäten erlernen würden, um ihre Haushaltskasse aufzubessern. Unter anderem war auch die Rede von einer Konditorei. Wir sind sehr froh, dass wir den Müttern, die regelmäßig zu uns kommen, ihren Wunsch erfüllen konnten und wünschen Chiquinho weiterhin viel Erfolg bei seinem Projekt!

 

Manaus

Der renommierte italienische Schriftsteller Angelo Ferracuti beschreibt zusammen mit dem Fotografen Giovanni Marrozini in einem kürzlich erschienenen Buch ihre persönlichen Begegnungen mit diversen indigenen Völkern des Amazonas, aber auch mit rechtsextremen paramilitärischen Gruppierungen, die in den letzten Jahren eine gigantische Reduzierung der größten verbliebenen Regenwaldfläche der Erde Vorschub geleistet haben.

Mit einem typischen Amazonas-Schiff ausgestattet, trieben sie monatelang auf dem Rio Negro und dessen Nebenflüssen, bis sie wieder in Manaus anlegten und Kontakt mit ihrem Landsmann Tommaso Lombardi, Leiter des dortigen Kleinen Nazareno aufnahmen. 

Bestimmte Siedlungen rund um Manaus sind nur per Schiff zu erreichen. Jegliche Versuche, den Jugendlichen in den Siedlungen die Gelegenheit zu eröffnen, an berufsausbildenden Kursen teilzunehmen, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, es sei denn, jemand verfügt über das angemessene Transportmittel. Wir freuen uns für unsere Filiale, dass sie erstmalig Mädchen und Jungs aus den anliegenden Siedlungen besuchen können, um sie in das Berufsausbildungszentrum zu integrieren. Angelo Ferracuti und Giovanni Marrozini hatten ausdrücklich den Wunsch geäußert, ihr Amazonas-Schiff dem Kleinen Nazareno zu überlassen, weshalb sie es sich auch nicht nehmen ließen, bei der feierlichen Übergabe und der Jungfernfahrt unter neuer Flagge und mit Mitgliedern des Berufsausbildungszentrums vom Kleinen Nazareno teilzunehmen. 

Ganz schön geguckt habe ich, als unsere Mitarbeiter in Manaus, Hauptstadt vom Bundesland Amazonas, mir das Foto von ihrem neu erworbenen doppelstöckigen Amazonas-Schiff geschickt hatten.

Weihnachtsgruss von Bernardo

Es ist der Dalai Lama gewesen, der sehr humorvoll anmerkte: „Falls du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuche mal zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist.“ 

Ich bin mir schmerzlich bewusst, dass unsere Aktionen nicht sofort umwälzende strukturelle Veränderungen zur Folge haben. Dennoch war es uns in diesem Jahr möglich, vielen Menschen, die sich in einer sehr konkreten Notsituation befanden und leider viele auch weiterhin befinden, etwas unter die Arme zu greifen. Wer bin ich, um mir ein abschließendes Urteil zu erlauben, ob unsere Hilfe ausreicht? Meine Antwort wäre dann: Eher nicht! 

Auf der anderen Seite bin ich mir sicher, dass wir neue Perspektiven und Gelegenheiten geschaffen haben, auf denen die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen aufbauen können, wenn sie die Initiative und den Mut dazu aufbringen.

„Vergiss nie, dass die wirklichen Probleme und Herausforderungen, die es zu meistern gilt, dort sind, wo Menschen leiden und deine Hilfe benötigen“, so der bei einem Bombenanschlag in Bagdad ums Leben gekommene brasilianische Botschafter der UN, Sérgio de Melo. 

Ja. Wir waren in diesem Jahr dort, wo Menschen leiden und ich kann auch im Namen meiner Mitarbeiter/innen behaupten, dass wir uns ehrlich bemüht und angestrengt haben, um einen Unterschied im Leben der armen Menschen zu machen, die wir in diesem Jahr begleiten durften. 

Besonders in diesen schweren Zeiten, euch allen, im Namen der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, denen wir konkrete Hilfe anbieten konnten, mein aufrichtiges Dankeschön! Frohe Weihnachten und ein gesegnetes, frohes neues Jahr! 

Euer Bernardo aus Brasilien!

  

ONLINE SPENDENBitte helfen Sie den Straßenkindern in Brasilien mit einer Spende.

Geben Sie den Betrag ein, den Sie spenden möchten

Wenn Sie Ihre vollständige Adresse eingeben wird Ihnen automatisch eine Spendenquittung zugeschickt.

ONLINE SPENDENBitte helfen Sie den Straßenkindern in Brasilien mit einer Spende.

Für die Spendenquittung hinterlassen Sie bitte einen Vermerk und Ihre Adresse in dem Kommentarfeld von PayPal.