Matias Herz schlägt nur für seine Mutter
Mitten in der brasilianischen Realität von Drogenbanden, Mord und Armut möchte Matias mit seinem ersten Ausbildungslohn seine Mutter von der Straße holen
Es geht mir nicht allein um die Besuche von Familien, die der Kleine Nazareno direkt unterstützt, wenn ich mich jede Woche aufs Neue in den Elendsvierteln von Fortaleza aufhalte. Vom brasilianischen Theologen Leonardo Boff stammt der Satz: Mit unserem Kopf reflektieren wir über die Realität, in der wir uns mit unseren Füßen bewegen. Das ist mein persönlicher „Beweggrund“, weshalb ich mich aufmache und nicht müde werde, immer wieder in eine mir vertraute und zugleich fremd erscheinende Welt eintauche.
Es ist die Welt der Armen, die neben den vielen Entbehrungen immer stärker unter dem Joch der organisierten Drogenkartelle leiden, die ihre Wachposten in für sie strategisch wichtigen Straßenecken platzieren, denen auch wir nicht ausweichen können. So war es uns auch nicht möglich unbemerkt Mathias zu besuchen, der vor einigen Tagen eine Lehrstelle bei einem Supermarkt angetreten war.
Meine Mitarbeiter hatten mich auf seine Lebensgeschichte aufmerksam gemacht. Nachdem wir uns durch enge Gassen geschlängelt hatten, alle Wachposten passiert hatten und immer wieder nachfragen mussten, standen wir vor seiner Haustür, wo er schon auf uns wartete. Geplant war ein kurzer Besuch, um ihn zu seinem Erfolg zu beglückwünschen und ein paar organisatorische Fragen zu klären, da er einmal in der Woche am theoretischen Unterricht der Berufsausbildungsstätte vom Kleinen Nazareno teilnehmen müsse. Aber als sich Flaviana, eine Mitarbeiterin, die mich oft bei den Besuchen begleitet, nach seiner Mutter erkundigte, bot er uns einen Stuhl an und verwickelte er uns in ein Gespräch, dass erst nach über einer Stunde endete.
Seine alkoholsüchtige Mutter lebt auf der Straße. Sein jüngerer Bruder wurde nicht weit von dem Haus, in dem sie lebten, umgebracht. Seine beiden älteren Brüder sind im Gefängnis. Er lebte abwechselnd mal bei seiner Tante und mal bei seiner Oma. Es wäre ein leichtes für ihn gewesen auch in die Drogenkriminalität oder der Verzweiflung auf der Straße abzudriften. Was ihn davon abhält ist die Liebe zu seiner Mutter, die nach dem Mord an ihrem Sohn völlig den Boden unter den Füssen verloren hat. Matias ist einer von vielen, denen wir eine Lehrstelle vermitteln konnten, aber nicht jeder hat den Traum mit dem ersten Lohn der eigenen Mutter eine Wohnung zu mieten, damit sie nicht mehr auf der Straße leben brauch.
Es war gar nicht so einfach seine Mutter auf der Straße zu finden, als ihm die Lehrstelle und damit auch den monatlichen Gehalt garantiert wurde. Er wollte ihr den Vorschlag machen, von seinem ersten Lohn eine Wohnung zu mieten, in der sie beide zusammenleben könnten. Sie solle die Möglichkeit haben nicht nur der Straße den Rücken zu kehren, aber den ganzen Schmerz hinter sich zu lassen und ein neues Leben anzufangen.
Seine Mutter war in einem miserablen Zustand, als er sie endlich in der Innenstadt von Fortaleza gefunden hatte. Er sagte, er wäre ganz aufgeregt gewesen und voller Hoffnung. Aber es war kein guter Tag für seine Mutter. Obwohl sie sich bei ihm bedankte und sich auch sichtlich über seinen Besuch freute, so sagte sie nur: „Matias! Ich kann es nicht! Lass mich einfach hier.“
Matias wird nicht aufgeben. Er fühlt sich verantwortlich für das Leben und das Wohl seine Mutter. Wir freuen uns, ihm die Möglichkeit auf eine Lehrstelle verschafft zu haben und können nur hoffen, dass seine Mutter sich eines Tages dazu entschließen kann, sich selbst und ihrem Sohn, der ihr noch geblieben ist, eine Chance auf einen Neuanfang zu geben.