Update von Bernardo zur Corona-Lage
😟 Viele von euch fragen sich, wie die Corona-Lage in Brasilien ist. Dazu schreibt uns Bernardo folgendes:
Schockiert von den Bildern, die uns aus Italien und Spanien erreichten, sind die Leute den Richtlinien der internationalen Gesundheit und dem brasilianischen Gesundheitsministerium gefolgt und zu Hause geblieben. Die monatliche Hilfe für etwa 50 Millionen Brasilianer wurde von anfangs gedachten R$ 200,00 auf R$ 600,00 angehoben und die Entlassung von Millionen von Angestellten durch eine Finanzspritze besonders für kleine und mittelgroße Unternehmen verhindert. Bis zu 70% der Bevölkerung blieben anfangs in ihren Häusern, oder versuchten es wenigstens.
Doch wenn ich anfangs noch die Hoffnung hegte, dass Brasilien vielleicht sogar einigermaßen glimpflich die gesundheitliche, wirtschaftliche und humanitäre Krisensituation überstehen würde, aufgrund der uns zur Verfügung stehende Zahlen, der aktuellen politischen Situation und der Kapazitäten des öffentlichen und privaten Gesundheitswesen bin ich mir sicher: wir sehen heute schon die Vorboten einer uns immer näher kommenden Katastrophe!
Die Reproduktionszahl, die angibt wie viel Menschen ein Coronavirus-Infizierter durchschnittlich ansteckt liebt bei 2,81. Seit Ausbruch der Pandemie in Brasilien verdoppeln sich alle fünf Tage die Anzahl der an dem Virus gestorbenen Menschen. In Italien und in Spanien waren es in den schlimmsten Wochen, alle 6 Tage. Der Trend der Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen gegenüber den sieben Tagen davor verzeichnet einen starken Anstieg von 80%. Die Situation in einigen Städten, wie Manaus, ähnelt schon jetzt einem Alptraum.
Alle Betten der Intensivstationen der öffentlichen Krankenhäuser sind schon belegt. Die Neuaufnahmen müssen oft tagelang auf einen freien Platz warten und bleiben solange in engen Gängen oder Räumen, denen es an einem Mindestmaß an hygienischem Standard mangelt. Es fehlen Beatmungsgeräte für die Patienten. Selbst die Kühlcontainer, platziert gleich neben den Krankenhäusern für die Aufbewahrung der Toten, sind überfüllt.
Logistische Probleme bei der Beschaffung von den tausenden von Särgen und der Beisetzung auf den Friedhöfen treten mittlerweile immer häufiger auf. Nicht zu reden von den vielen Ärzten, Pflegern und dem Krankenhauspersonal, die nicht ihren Dienst antreten können, weil sie sich angesteckt haben und sich deshalb immer weniger medizinische Fachkräfte um immer mehr Patienten kümmern.
Und damit sitzen wir in einer Zwickmühle: Bei dem exponentiellen Anstieg der Fallzahlen ist an eine Flexibilisierung der bisher getroffenen Maßnahmen der sozialen Distanz und die Schließung aller Geschäfte, mit Ausnahme der Supermärkte und der Apotheken nicht zu denken. Meiner Meinung nach wären wir sogar gut beraten, was die aktuellen Hotspots der Pandemie (Manaus, Fortaleza, Rio de Janeiro, São Paulo, Belém) angeht, eine radikale Eindämmung der Infizierungen durch einen kompletten Lockdown entgegenzutreten.
Wie die Kurve der Neuinfizierungen sich entwickeln wir hängt allein von der Durchsetzungskraft der Gouverneure und Bürgermeister und der Zustimmung der Bevölkerung ab.
Von unserem Präsidenten können wir leider nicht viel erwarten, weil er seit dem Ausbruch der Pandemie ganz systematisch jegliche Anstrengungen der Bevölkerung, die von den Gouverneuren getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie einzuhalten, auf verschiedenste Weise unterminierte, wobei ich es mir hier an dieser Stelle sparen möchte ins Detail zu gehen, gerade auch in Hinsicht der bewussten Radikalisierung seiner Anhänger, bei dessen Kundgebungen immer wieder Äußerungen und Plakate auftreten, die ganz offen die Schließung des brasilianischen Bundesverfassungsgerichtes, die Schließung des Bundesparlaments und eine Intervention des brasilianischen Militärs fordern. Diese Leute meinen die Weisheit mit den Löffeln gegessen zu haben, werden immer engstirniger, verbohrter und spielen mit einer Errungenschaft, der Demokratie, die erst vor 35 Jahren die Militärdiktatur abgelöst hat.
Kurz gesagt, ich habe allen Grund mir dieses Mal ernsthaft Sorgen zu machen! Es tut mir aufrichtig leid, dass euch zu diesem Zeitpunkt keine hoffnungsvollere persönliche Einschätzung zukommen lassen kann. Gerade jetzt in einer Zeit, in der, denke ich mir fast jeder von euch beträchtliche eigene Sorgen um die Ohren hat. Sicherlich sind viele der geschilderten Tatsachen auch nicht völlig neu für euch. Dennoch weiß ich, durch die vielen Jahre der Zusammenarbeit, um euere enge Verbundenheit mit dem Land, mit seiner tiefst liebenswerten Bevölkerung und euerer Solidarität gegenüber den Kinder und Jugendlichen, die auf der Straße leben.
Zum Schluss noch kurze Infos zum Kleinen Nazareno: Obwohl wir aus offensichtlichen Gründen die Arbeit der Sozialarbeiter und der Streetworker auf der Straße auf ein Mindestmaß reduziert haben, so ist es uns zur Zeit dennoch möglich zweimal in der Woche eine warme Mahlzeit für jeweils etwa 120 Menschen, die auf der Straße leben – in den meisten Fällen sind es komplette Familie, oder einzelne Frauen und Männer – auszuteilen. Vor dem Essen haben sie die Möglichkeit sich zu duschen in einer Einrichtung der katholischen Kirche in der Innenstadt von Fortaleza.
In Manaus arbeiten unsere Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit den Sozialarbeitern von der Stadt, die sich um die Menschen kümmern, die dort auf der Straße leben. Sowohl in Fortaleza, wie auch in den Außenstellen vom Kleinen Nazareno ist es uns ein starkes Anliegen, dass die Familien der Kinder, die bei uns aufgenommen wurden, mit Lebensmittelpakete versorgt werden, wenigstens in den zwei bis drei kommenden Monaten. In den Nazareno-Dörfern haben alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung einer Infizierung durch den Covid-19 getroffen. Aber es steht jeweils ein Haus bereit für den Fall, dass sich Kinder oder Mitarbeiter anstecken.
Ich wünsche euch von Herzen alles Gute und ich freue mich über die kleinen Fortschritte, die bei euch gemacht werden! Für uns ist das Gebot der Stunde einfach durchzuhalten, dass beste zu hoffen und sich vorzubereiten auf eine Zeit nach der akuten Ansteckungsgefahr, in der wir richtig wieder loslegen müssen!